21. Oktober - 24. Oktober 2021 Zurück in Kotor finden wir im ganzen Verkehrschaos tatsächlich einen Parkplatz. Hinter einer Tankstelle. Wir sind froh hier ohne Druck parkieren zu können. Kaum ausgestiegen, stehen drei Kinder vor uns und bestaunen unseren Ferris.
«Hallo!»
Ein Mädchen und zwei Jungen im Alter von ca. zehn Jahren grinsen uns fröhlich an. Das Mädchen möchte alles genau wissen und streckt ihren Kopf in unsere «Einzimmerwohnung». In einem Mischmasch aus Englisch, Deutsch und Montenegrinisch fragt sie, wo wir schlafen, wo wir essen und wo wir Kaka machen.
«Lepo, lepo!», sagt das Mädchen, was auf montenegrinisch «schön» heisst, wie wir später herausfinde.
Na ja, ganz geheuer ist mir die Situation dann kurzzeitig aber doch nicht, denn die Jungen fangen an alles anzutatschen und ich merke, dass ich meine Augen plötzlich intuitiv überall habe. Die Kinder wirken wie Strassenkinder, also bin ich lieber vorsichtig (meine Vorurteile lassen grüssen). Schlussendlich ziehen die Kinder weiter und das Mädchen winkt noch von weitem und ruft uns zu «I loveyou!». Eigentlich ganz süss.
Wir sind noch keinen Schritt weiter, werden wir von einem Jugendlichen um Essen gebeten. Wir verschenken unsere Snacknüsse aus unserem Rucksack und realisieren, dass uns Armut hier in Montenegro wohl des Öfteren begegnen wird. Die Stadt macht auf uns einen chaotischen Eindruck. Es ist laut und ziemlich schmutzig.
Als wir durch ein imposantes Seitentor in die Altstadt von Kotor eintreten, sieht es anders aus. (Klar, der Tourismus lässt grüssen – innen hui, aussen pfui.)
Da kreuzt eine Katze unseren Weg. Und da liegt noch eine. Und da drüben, da sitzen nochmals zwei! Die flauschigen Vierbeiner sind überall. In den Restaurants auf den Stühlen, teilweise sogar auf den Tischen, Treppen, Sitzbänken und die Touristen lassen sich von ihnen als Kletterbäume und Kuschelkissen benutzen. Die Einwohner scheinen das zu feiern. Katzensouvenirs so weit das Auge reicht in allen Geschäften. Ok, kleine Korrektur. Die Flauschis sind wohl eher geduldet, weil der Euro rollt. Wir finden’s aber trotzdem «mega härzig» und Dominic möchte gleich ein verletztes armes Katzenbaby adoptieren.
Wir verlassen die Stadt schlussendlich ohne Katze und ohne Katzensouvenirs, dafür aber mit dem Gefühl, dass so ein Vierbeiner doch auch ganz gut zu uns passen würde. Eine VANsinnige Katze im Büsli? Wäre super cool!
Unser nächstes Ziel ist der Shkodra See. Seit 1983 ist das Gebiet ein Naturpark und besonders Ornithologen schwärmen von der Artenvielfalt der Zugvögel im Herbst.
Wir sind gespannt. Das erste Dorf am See heisstVimpazar.
Wir sind noch keine fünf Meter ins Dorf eingefahren, da springt uns ein Mann vors Auto. Er winkt heftig. Wir sollen anhalten. Etwas verwirrt kurbeln wir das Fenster runter. Dürfen wir hier etwa nicht weiterfahren?
Der Mann sagt:
«Hallo, ihr seid aus dem Aargau! Ich kenne Ivan Ergic, mit dem habe ich hier vor meinem Hotel schon Fussball gespielt!»
Wir müssen schmunzeln. Der Mann wechselt jetzt von Deutsch zu Englische. Sein Deutsch sei nicht gut genug.
«Ich habe einen Parkplatz für die Nacht für euch, mit gratis Strom, gratis Wasser, gratis Dusche und einem gratis Frühstück morgen früh. Kommt rein in mein Restaurant, ich spendiere euch ein Willkommensgetränk. So will es die Tradition.»
Wir kommen aus dem Staunen nicht heraus. Nicht weil wir dem Mann etwa glauben, nein, weil wir denken, er will uns für dumm verkaufen.
«That’s crazy…» ist alles, was wir rausbekommen.
Der Mann, der übrigens Marco heisst, erklärt uns, dass seine verstorbenen Eltern mit dieser Tradition vor sechzig Jahren angefangen hätten und er diese zu deren Ehren weiterführe. Dominic und ich parken und tauschen kurz unsere Gedanken aus.
«Ach, was soll schon passieren. Adventure Baby!»
Wir betreten mit Marco das Restaurant «Pelikan» (welches auch ein Hotel ist). Ein hoher Raum, mit ein paar einfachen Holztischen, Holzstühlen mit geflochtenen Sitzflächen und einer Durchreiche zur Küche. Die Wände sind mit Fotos, Zeitungsartikeln und alten Strohhüten bis hoch zur Decke ausgestattet und auch sonst bietet der Raum einiges an Staubfängern zu bestaunen. Trotzdem, oder vielleicht genau deswegen, ist der Laden irgendwie gemütlich.
Wir bekommen ein Bier und einen Kaffee mit einem Gebäck des Hauses. Eine Art Windbeutel. Etwas trocken, aber zum Kaffee ganz ok. Es folgt ein äusserst eindringliches Angebot morgen eine Bootstour auf dem See zu machen. Ausserdem möchte Marco von uns fünf Sterne (Höchstbewertung) auf der Camper App «park4night» von uns haben.
Aha! Da ist er also, der Haken. Marco macht seine Sache aber wirklich gut. Er hört nicht auf zu reden und weil wir einfach nur müde sind und keine Lust mehr haben weiter darüber nachzudenken, ob wir diese Bootstour auch günstiger haben könnten (54 Euro!), beschliessen wir einfach zu buchen – und natürlich gleich zu bezahlen. Lieber Marco, soviel Geschäftssinn soll belohnt sein!
Endlich «dürfen» wir ins Bett.
Nach einer Nacht mit Hundegebell und Zugdurchfahrten (der Parkplatz befindet sich neben den Bahngleisen), stehen wir wie mit Marco verabredet pünktlich um neun Uhr im Restaurant und hoffen auf unser versprochenes Frühstück. Und tatsächlich! Das Frühstück schmeckt grandios, der Kaffee schmeckt und wir dürfen soviel von allem haben, wie wir mögen.
Die Bootsfahrt machen wir mit 6 anderen Leuten. Ein älteres deutsches Paar, auch mit Camper unterwegs, lachen uns an und fragen:
«Na, seid ihr Marco gestern auch ins Netz gegangen?».
Ja, das sind wir wohl.
Doch Marco hat nicht zu viel versprochen. Die Aussicht vom Boot aus ist überwältigend. Der Herbst präsentiert sich in seinem bunten Gewandt. Das Seeufer wechselt von eindrücklichen felsigen Formationen mit Büschen und Bäumen bis hin zu Sandstränden, an denen kleine Fischerhäuschen stehen. Auf dem Wasser ein paar vereinzelte Fischerboote und viele Kormorane, Möwen, Blässhühner und wie sie alle heissen.
Ivan, unser Guide, der am Morgen noch unser Kellner war, erzählt uns, dass man hier auch Pelikane sehen könne. Ich werde ganz Ohr und schicke in Gedanken gleich eine Bestellung ans Universum. Bitte, bitte, die möchte ich so gerne sehen. Und siehe da, ein paar Minuten später erscheinen im Wasser, neben einer Schar Kormorane, zwei Pelikane! Wir beobachten die Tiere durchs Fernglas. Was für ein Moment! Als wir beginnen Fotos zu machen, gelingt uns dieses Bild.
Einer der Pelikane greift die Kormorane an und frisst prompt einen! Wir sind baff und erstaunt gleichzeitig! Pelikane fressen andere Vögel!? Krass.
Nach der dreieinhalbstündigen Bootsfahrt bietet uns Marco in seinem Hotel noch eine heisse Dusche an. Er hat bemerkt, dass wir dieses Angebot noch nicht eingelöst haben. Wir sind positiv überrascht uns sagen nicht nein. Nach einer warmen Dusche trinken wir vor der Abfahrt mit einem Geschwisterpaar (auch Camper) aus Bremgarten, welches ebenfalls mit uns auf dem Boot war, einen Kaffee. Schön mal wieder mit Schweizern zu plaudern! Wir tauschen Handynummern, um die Pelikan-Fressfotos auszutauschen.
Wir verabschieden und bedanken uns noch bei Marco für diesen erlebnisreichen Tag und fahren weiter.
Doch wir kommen nicht weit. Es ist einfach zu schön hier! Wir finden eine abgelegene Strasse auf einer Anhöhe über dem See und übernachten dort, umzingelt von einer Herde Kühe. Dominic hat endlich mal wieder die Möglichkeit ein Feuer zu machen. Das hat er vermisst.
Am nächsten Morgen auf dem Weg in Richtung albanische Grenze durchfahren wir traumhafte Kastanienwälder. So etwas haben wir noch nie gesehen! Bäume mit dicken Stämmen stehen wie friedliche Riesen in Nebel vor uns und der Weg ist übersät mit stacheligen Esskastanien. Hie und da Menschen, mit Eimern und Säcken, die durch den Wald streifen und die Früchte vom Boden aufsammeln. Sie wirken so ruhig und geerdet.
Auch hier erleben wir eine mystische Stimmung, wie bereits in Kotor auf dem Berg.
Als wir weiterfahren, winken die Leute uns zu und lächeln. Wir freuen uns über jede freundliche Geste und fühlen uns willkommen.
Ja, Luxus hat viele Gesichter. Für den einen ist es ein teures Auto, für den anderen Kastanien vor der Haustür und für nochmals andere, Pelikane in freier Wildbahn.
Wo wir noch mehr wilde Vögel und nette Menschen antreffen, die uns aus der Patsche helfen, erfährst Du in unserer nächsten Geschichte.
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