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Bis auf die Knochen - Bones

Unsere Reise führt uns Mitte November von Albanien nach Griechenland. Für die Einreise wählen wir eine kleine Grenze im Inland (Kakavija). Mittlerweile ist es März und wir sind noch immer in Griechenland Zuhause. Doch all unsere Erlebnisse auf dem Festland, der Halbinsel Peloponnes und Kreta zu erzählen, würde nicht nur die Speicherkapazität unserer bescheidenen Webseite auf die Probe stellen, sondern auch mich überfordern.

Es ist in den letzten Monate ruhig geworden um die VANsinningen (zumindest gegen aussen). Denn der Abstand zu unsrem Alltag in der Schweiz und das Reiseleben – das alles macht viel mit uns persönlich. Wir dürfen lernen, wie «zeitlos» unser Leben plötzlich zu sein scheint und merken durch unsere Kontakte Zuhause, wie sich das Hamsterrad in der Heimat weiterdreht. Viele Fragen tauchen auf und tiefe Wünsche kommen zum Vorschein. Auch innere Unwetter und Langeweile gehören manchmal dazu. Unser Tag wird bestimmt vom Sonnenauf- und Sonnenuntergang. Unsere innere Uhr ist erstaunlich. Wir stehen zwischen sieben und halb acht Uhr morgens auf und nicht selten sind wir bereits gegen zweiundzwanzig Uhr müde und gehen ins Bett.


Und trotz dieses freien Lebens, das Schreiben fällt mir in den letzten Monaten eher schwer. Ich bin randvoll von Eindrücken und teils tiefgründigen Gedanken und gleichzeitig herrscht gähnende Leere in meinem Kopf. Ich mag wochenlang nichts (mit)teilen und überlege mir kurzzeitig alle sozialen Medien und unseren Block aufzulösen. Doch dann beginne ich zu verstehen, dass ich mir einfach zu viel Druck mache und deshalb resigniere. Typisch ich. Nun denn, die Muse scheint mich heute Morgen endlich wieder geküsst zu haben, ich haue voller Elan in die Tasten meines Laptops und ich freue mich auf die Arbeit an diesem Text.

In Griechenland angekommen, durften wir vom ersten Tag an die Gastfreundschaft der Griechen geniessen, andere Reisende kennenlernen, die Schönheit und Vielfalt der abwechslungsreichen Vegetation bestaunen und so manche liebenswerten Streuner (Hunde als auch Katzen) kennenlernen. Unsere Begegnungen mit den Vierbeinern waren oft kurz und intensiv und der Abschied manchmal ganz schön traurig. Alle hätten wir sie mitnehmen können, doch bis anhin hat unser Verstand über das Herz gesiegt.



Eine dieser tierischen Bekanntschaften hat unser Camperleben kurzzeitig ganz schön auf den Kopf gestellt hat und diese Geschichte möchten wir heute erzählen.

Es ist Mitte Februar. Nach zwei Monaten auf der Insel Kreta kehren wir zurück aufs griechische Festland, genauer gesagt auf die Halbinsel Peloponnes. Das Inselleben hat uns gutgetan. Verlassen, ja schon fast ausgestorben präsentieren sich uns die kleinen Touristenorte und Strände. Wir fahren teilweise zwei Stunden, ohne einem Menschen oder einem Auto zu begegnen. Umso hektischer wirkt in den ersten Tagen das Festland auf uns. Auch abgelegene Stellplätze sind eher rar und so reisen wir wieder etwas schneller und wechseln im Schnitt alle zwei Tage unseren Schlafplatz. Es fällt uns sichtlich schwer, zur Ruhe zu kommen. Ausserdem planen wir Mitte März kurz in die Schweiz zurückzufliegen, was wiederum besonders bei Dominic das Gefühl von Zeitdruck auslöst. Unsere Flüge haben wir bereits vor zwei Wochen gebucht und es bleiben uns ab jetzt vier Wochen, um von Gytheo nach Athen zu fahren. Von anderen Reisenden wissen wir, was es auf dem Weg zur giechischen Hauptstadt schönes zu sehen gibt. So landen wir in Leonidi, einem Kletterparadies für Touristen und wiederum ein paar Tage später, an einem schönen, sehr sonnigen und warmen Tag in Monemvasia, einer mittelalterlichen Kleinstadt.


Nach Monemvasia führt uns unser Weg weiter ans nächste Ziel. Die heissen Quellen von Methana. Endlich mal wieder heiss baden!


Als wir einen Zwischenhalt in Kiveri machen, überlegen wir kurz erst am nächsten Tag weiter zu fahren. Doch unser Standplatz sagt uns nicht nur nicht zu, sondern auch unser Bauchgefühl spricht gegen eine Übernachtung an diesem Ort. Also beschliessen wir weiterzufahren, ohne Halt bis nach Methana. Unser Weg führt uns auf einer Hauptstrasse mit wenig Verkehr durch hügelige Landschaft. Eine schöne Strecke. Wir fahren Kurve um Kurve der Abendsonne entgegen, als uns auf der Fahrbahn plötzlich ein braunes Fellbündel entgegenrennt. Ich trete auf die Bremse! Dominic und ich wechseln einen Blick und steigen ohne zu zögern aus. Eine abgemagerte Hündin hüpft Dominic um die Beine und legt sich vor ihm auf den Boden. Während er sich zu ihr hinunter kniet und sie mit sanften Worten beruhigt, fülle ich im Bus ein Schälchen mit Hundefutter. (In südlichen Ländern unter Campern ein «must have». Immer etwas zu Futtern für die streunenden Vierbeiner dabeihaben). Die Hündin stürzt sich sogleich auf das Essen und der Anblick dieses kleinen Knochengerüsts bricht uns fast das Herz. Ein paar Autos fahren an uns vorbei und hupen. Normalerweise sind die Griechen, was das Parken auf offener Strasse angeht, kulanter. Doch uns ist bewusst, dass wir schleunigst weiterfahren sollten, um nicht noch einen Unfall zu provozieren. Das Schälchen mit dem Trockenfutter ist im Nu leer gefuttert und erneut tauschen Dominic und ich einen Blick. Was nun? Sie einfach hierlassen? Kommt für uns beide, wortlos, nicht infrage. Ich gehe in die Knie, umarme die Hündin und hebe sie hoch. Sie lässt es ohne Gegenwehr zu. Dominic setzt sich auf den Beifahrersitz, die keine Vierbeinerin setzte ich behutsam auf Dominics Schoss ab. Wir sind baff. Haben wir jetzt etwa einen Hund? Na ja, nicht so schnell. Aber über einen Namen müssen wir während der Weiterfahrt trotzdem sprechen. Schliesslich möchten wir nicht unhöflich sein und die Hündin einfach Hund nennen. Dominic wirft, ohne lange zu überlegen, den ersten Namen ein und naheliegender hätte sein Vorschlag wohl nicht sein können - und passender auch nicht: Bones (Knochen)


Nun denn, Vorschlag angenommen. Für Bones scheint Autofahren nichts Neues zu sein und trotz ihrer noch unsicheren und etwas traurig wirkenden Augen, scheint sie Dominics Körperwärme sichtlich zu geniessen. An unserem gewünschten Schlafplatz angekommen, bekommt unsere neue Freundin erstmal frisches Wasser und darf nochmal raus. Während dessen richten wir im Fussraum des Beifahrersitzes einen Schlafplatz für sie ein. Dominics kaputter Schlafsack wird zu einem voluminösen und herrlich flauschigen Bettchen umfunktioniert und Bones kuschelt sich sogleich in ihr feines Nest. Endlich nicht mehr dem Wind und der nächtlichen Kälte ausgesetzt. Die letzten Tage (vielleicht Wochen oder Monate?) müssen sehr kräftezehrend für sie gewesen sein, denn sie schläft sofort ein und die ganze Nacht durch. Als wir am nächsten Morgen die Beifahrertüre öffnen, strahlen wir uns über beide Backen an. «Mir hän e Hündli! So härzig!»


Wir kümmern uns an diesem Morgen sogleich um einen Termin bei einem Tierarzt und nutzen den restlichen Tag, um Bones besser kennenzulernen. Ein Halsband haben wir lustigerweise bereits vor einiger Zeit mal in einem Geschäft für einen Euro gekauft und eine Leine ist aus Paracord und Karabinerhaken schnell gebastelt. Wir spazieren mit Bones an der Leine durch ein Städtchen, baden in den heissen Quellen, während dem sie einen Mittagsschlaf im Auto macht und stiefeln am Folgetag mit ihr auf einen kleinen erloschenen Vulkan. Alles gemächlich. Denn obwohl Bones sich prima macht und gut mithalten mag, ist sie doch noch zu schwach, um grosse Sprünge zu machen. Vor ausgiebigeren Abenteuern müssen wir sie erstmals aufpäppeln. Alors doucement!

Am Folgetag werden unsere Gedanken und Gefühle langsam nüchterner. Die ersten Schmetterlinge im Bauch haben aufgehört zu flattern und wir reden intensiv darüber, wie ein Hund unsere Reise und unser Leben danach verändern würde. Einschränkungen und Verantwortung sind wohl die meist gefallenen Schlagwörter. Grundsätzlich waren wir nie abgeneigt einen Hund zu adoptieren und unsere VANsinnige Familie zu vergrössern, doch jetzt wo das Tier bei uns ist… Sind wir wirklich bereit? Der Tierarztbesuch gestaltet sich für uns eher ernüchternd. Uns wird bewusst, wie prekär die Streunersituation in Griechenland ist. Denn abgesehen von überfüllten Tierheimen oder einer privaten Vermittlungsstelle, welche mit monatlichen Fixkosten für uns verbunden wäre, gibt es keine Option für Bones einen für uns vertretbaren Platz zu finden. Also packen wir das kleine Fräulein (Bones ist ca. ein Jahr alt) wieder ein und entscheiden vorerst die Auswertung der Blutwerte abzuwarten und in der Zwischenzeit nach anderen Möglichkeiten zu suchen. Wir setzten alle Hebel in Bewegung und kontaktieren Freunde in der Schweiz, welche sich mit Hunden auskennen, im Tierschutz Mitglied sind, Pflegehunde aufnehmen und Kontakte zu Vermittlungsstellen haben. Alle sind auf Anhieb bereit zu helfen. Wir sind so erleichtert und begeistert darüber, welch grossartige Tierfreunde wir kennen, denen keine Mühe zu gross ist einem Vierbeiner ein lebenswertes Leben zu schenken. Ein paar Tage später telefonieren wir mit der Tierarztpraxis und die Ärztin teilt uns mit, dass Bones Leishmaniose hat. Eine Krankheit, an welcher Hunde im Mittelmeerraum oft erkranken und leider nicht heilbar ist (wer mehr darüber wissen möchte, kann hier nachlesen). Mir schiessen die Tränen in die Augen, Dominic macht seinem Unmut Luft und ist genauso betroffen wie ich. Auch das noch. Was bedeutet das jetzt für uns? Können wir ihr helfen? Können wir sie so mit auf Reisen nehmen? Und wie steht es um ihre Vermittlungschancen in der Schweiz? Als wäre diese Nachricht nicht genug für einen Tag, wird uns plötzlich bewusst, dass wir nun bereits vor dem nächsten Problem stehen. Wir fliegen Ende März für kurze Zeit in die Schweiz zurück. Wo bringen wir Bones unter? Eine Tierpension nimmt kein ungeimpftes, ungechiptes (evtl. auch kranken) Tier und die Kleine mitzunehmen ist wegen der Einreisebestimmungen auch keine Option. Wir stecken in einer Zwickmühle. Muss einer von uns mit Bones in Athen bleiben, während der andere nach Basel fliegt? Unsere Nerven liegen nach ein paar Tagen blank. Mit etwas mehr Abstand betrachtet, haben wir uns wirklich fast verrückt gemacht. Doch so sind wir nun mal. Wir können nicht wegsehen und unser Verantwortungsgefühl für Bones war vom ersten Moment an unbeschreiblich stark. Wir versuchen uns abzulenken und beschliessen nach Athen zu fahren, um die Stadt zu besichtigen. Mit etwas lauem Gefühl, denn ob Bones das ganze mitmacht, wissen wir ja nicht. Doch wie sagt man so schön: Probieren geht über Studieren. Am Abend vor der Grossstadt wage ich bereits das erste Experiment und packe die 8 kg schwere Hündin in meinen Rucksack. Sollte sie morgen während dem Stadtbummel müde werden, könnte ich sie huckepack tragen. Und siehe da, Bones lässt tatsächlich (fast) alles mit sich machen und wir müssen über dieses amüsante Bild lachen. Der Besuch in Athen verläuft reibungslos und das Vertrauen, welches uns Bones entgegenbringt, ist erstaunlich. Sie läuft an unserer Seite ohne sich vor den Autos und Menschen zu fürchten und als sie müde wird, ruht sie sich für eine halbe Stunde im Rucksack aus. Die neue, positive Erfahrung bereitet uns Freude und zeigt uns, dass es vielleicht doch nicht so kompliziert ist, mit Hund zu reisen.



Wir finden einen kleinen Hafen am Rande von Athen und verbringen dort die nächsten Tage. Wir grübeln weiter über Bones Zukunft und weiterhin ist der Kampf zwischen Bauch und Kopf, Gefühl und Verstand unser täglicher Begleiter. Als ich eines Abends lange wach liege und versuche mich mit einem Buch von den kreisenden Gedanken über Bones abzulenken, durchfährt mich plötzlich ein Gefühl. Es muss und wird eine Lösung geben, aber wir müssen aufhören, danach zu suchen. Ich lasse in Gedanken los und lasse das Universum sich darum kümmern (klingt bescheuert, funktioniert aber prima!). In dieser Nacht schlafe ich endlich nach Tagen wieder tief und fest und am nächsten Tag – passiert es tatsächlich (Merci Universum!). Wir lernen Daniel kennen. Er reist wie wir mit einem Camper durch Europa und hat zwei Hunde mit dabei. Wir tauschen uns über unsere Vierbeiner aus und erzählen Daniel über unsere Pattsituation. Er wiederum erzählt uns von seiner griechischen Bekanntschaft Ekatharina, welche ihm bei einem gesundheitlichen Problem mit einem seiner Hunde geholfen habe, denn ein guter Freund von Ekatharina sei Tierarzt. Wir werden ganz Ohr. Lange Rede, kurzer Sinn. Wir lernen Ekatharina kennen und sie bietet uns an, Bones nochmals von ihrem Freund, dem Tierarzt, durchchecken zu lassen. Das Ergebnis ist zwar dasselbe, aber wir erhalten sofort Medikamente für eine Intensivtherapie für Bones und schöpfen aufgrund ihres, abgesehen von der Leishmaniose, guten Gesundheitszustandes neue Hoffnung. Wir können ihr helfen! Ausserdem bietet uns Ekatharina an, Bones während unserer Abwesenheit zu sich zu nehmen und in dieser Zeit bereits mit der Therapie zu starten. Sollten wir uns für die Adoption von Bones entscheiden, könnten wir sie nach unserer Rückkehr nach Athen wieder bei ihr abholen. Falls nicht, würde sie für Bones eine geeignete Familie suchen. Ekatharina hat Katzen und zwei Hunden, einer davon mit Leishmaniose. Bones würde also kompetent versorgt werden und eine gute Zeit mit anderen Tieren verbringen können. Wir können unser Glück kaum fassen (oder besser gesagt: Bones Glück!). Wir sagen also dankend "Ja!" zu ihrem Angebot. Unser letzter Tag mit Bones ist eine emotionale Achterbahn. Von Freude und Traurigkeit durchzogen. Denn so glücklich wir für sie sind, so traurig sind wir auch, sie wieder loslassen zu müssen. Nun sind wir kurz in der Schweiz und düsen aber auch schon fast wieder los. Auf zu neuen Abenteuern! Doch bevor wir wieder durchstarten, besuchen wir Bones, um zu sehen wie es ihr geht. Und wer weiss, vielleicht wird sie ja schlussendlich doch noch ein Mitglied unserer VANsinnigen Familie?



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