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Schlammpackung für Ferris

Den Abend nach unserem nervenaufreibenden Halloweenereignis verbringen wir in einer bunt zusammengewürfelten Camperrunde. Wir geniessen erneut die Gastfreundschaft unserer albanischen Familie und gehen nach ein, zwei Bier zufrieden ins Bett. Vielleicht bleiben wir doch noch ein paar Tage länger als geplant? Doch als wir am Morgen aufwachen, ist es draussen regnerisch und grau. Die anderen Camper brechen alle auf und auch wir beschliessen Buona Vila heute zu verlassen. Allerdings eher schweren Herzens und ich mal wieder mit Tränen in den Augen. Doch Abschied gehört zum Reisen nun mal dazu. Wir schenken Lido drei Fläschchen Schweizer «Schnäpsli» und ein originales Rheinfelder «Bier-Abwüsch-Bändeli», damit er uns nicht vergisst. «Vielleicht kommen wir wieder.», sagen wir zu ihm. Er nickt und antwortet: «Das wäre schön, meine Freunde.»



Wir brechen auf. Unsere Reise führt uns heute weiter südlich zur dreizehn Kilometer langen Osum-Schlucht. Wir möchten dort ein paar Tage bleiben um zu wandern. Die letzte Stadt, bevor man in den Canyon fährt, ist Berat. Die Stadt der tausend Fenster. Dort machen wir halt um uns mit Nahrungsmitteln einzudecken. Eine Stadtbesichtigung ist uns aber gerade zu viel. Von Alt bis Jung scheint gerade jeder Bewohner von Berat auf den Beinen und unterwegs zu sein. Also besichtigen wir die Ortschaft auf der Durchfahrt. Der Rückweg aus der Schlucht wird uns wieder denselben Weg zurück führen. Berat läuft uns also nicht davon.



Wir fahren rund drei Stunden den Berg hinauf. Die Strassenverhältnisse sind relativ gut, aber teilweise auch richtig schlecht und die vielen Serpentinen führen uns vorbei an Feldern, Weilern und Olivenplantagen. Trotz oder gerade wegen des bewölkten Wetters, leuchtet das wunderschöne pastellige Grün an den Hängen, bei jedem durch die Wolkendecke durchdringenden Sonnenstrahl um die Wette. Ich kann mich fast nicht sattsehen an den hübschen kleinen Bäumchen mit ihren grünen und schwarzen Früchten.


Plötzlich fällt die Strasse rechts steil ab und wir staunen nicht schlecht. Der Osum Canyon begrüsst uns imposant mit senkrecht abfallenden Wänden, die Tiefe lässt sich nur erahnen. Wir suchen nach der nächstbesten Möglichkeit, um anzuhalten und versuchen einen Blick auf den Osum (Fluss) zu erhaschen. Keine Chance. Die Schlucht ist an dieser Stelle zu tief.


Also freuen wir uns auf morgen und hoffen, dass man zu Fuss gut in den Canyon hinunterkommt. Doch erstmal kümmern wir uns um einen Schlafplatz, bevor es dunkel wird. Wir haben da bereits ein Fleckchen im Hinterkopf. Als wir dort ankommen, sieht der Boden für meinen Geschmack ziemlich matschig aus. Ich möchte aussteigen und mir den Untergrund erst mal anschauen. Der Patzer mit dem Steckenbleiben im Sand war mir eine Lehre. Doch diesmal ist Dominic der Meinung «Ach was, das wird schon gehen.». Ok... Dreimal darfst du raten, ja, wir fahren uns schon wieder fest! Aus 1:0 für Dominic wird ein Unentschieden in Sachen unüberlegtes Befahren von unbekanntem Untergrund. In Erinnerung an die beiden älteren Herren, die uns das letzte Mal aus dem Schlamassel geholfen haben, versuchen wir unsere Räder, diesmal in Eigenregie, mit Steinen zu unterlegen. Dummerweise ist Matsch und Sand nicht das Gleiche und wir graben uns immer tiefer in die Bredouille. Wir versuchen es weiter mit Buddeln, unseren Aufbockkeilen und noch mehr Steinen– nichts. Nicht nur Ferris, sondern auch wir sind mittlerweile voller Schlamm und sehen aus wie Sau. Wir hätten für solche Situationen Kleider zum Wechseln dabei, vergessen dies aber in unserem Ärger und unserer Hast, denn es dunkelt langsam ein. Tja, so wie es aussieht, sitzen wir hier bis morgen fest.


Da fährt ein Pickup vorbei! Wir winken und rufen und bitten um Hilfe. Der Fahrer macht eine Handbewegung, die ich als «ich drehe um und komme zurück» interpretiere. Er kommt nicht zurück. Etwas verzweifelt knien wir nun auf der Strasse und sammeln in einem Plastiksack Kieselsteine, um unter den Rädern unseres Büslis eine Art Strasse zu pflastern. Unser letzter Versuch bevor wir aufgeben. Da fährt erneut ein Auto an uns vorbei! Zwei junge Männer in einer Mercedes-Limousine. Ob sie wohl für uns zwei Idioten anhalten? Tatsächlich! Durch das Fenster rufen sie uns zu «No problem!». Scheinbar denken die Beiden, dass wir um Erlaubnis fragen wollen, die Nacht hier zu verbringen. Dominic ruft (mit Nachdruck, damit uns die zwei nicht auch noch abhauen) «Yes, problem!». Nach kurzer Verunsicherung verstehen die Männer dann zum Glück doch, dass wir in Schwierigkeiten stecken und steigen aus, um unsere missliche Lage auszuchecken.


(Nicht das schärfste Bild, aber es ging alles plötzlich ziemlich schnell. Ach ja, und meine Hände waren voller Schlamm.) Mercedes hin oder her, so schnieke das Auto auch sein mag, in Albanien gilt: Ein Auto ist ein Werkzeug (dementsprechend sehen die Fahrzeuge teilweise auch aus). Ohne lange zu überlegen, binden die Beiden unser Abschleppseil an den Abschlepphaken unter der Schnauze ihres schicken Schlittens und legen den Rückwärtsgang ein. Dominic springt in Ferris Fahrerkabine und gibt, ebenfalls im Rückwärtsgang, Gas! Mit vereinten Pferdestärken und der grandiosen Hilfe der netten Albaner, sind wir erfolgreich! Und «Läck Bobby», mal wieder erleichtert. Wir bedanken uns mit «Faleminderit!» (Danke) bei unseren Helfern und so schnell wie sie aufgetaucht sind, sind sie auch wieder weg. Wir fahren zurück, wo wir hergekommen sind, um einen Kiesplatz aufzusuchen, den wir beim Vorbeifahren bereits als Übernachtungsoption gesichtet haben. Es ist schon fast dunkel als wir dort ankommen. Es hätte unterhalb des Kiesplatzes, direkt am Osum Fluss noch eine Parkmöglichkeit. Doch die dorthin führende Schotterpiste mit den tiefen Schlaglöchern ist ziemlich steil (Dominic hat den Weg zu Fuss mit Stirnlampe kurz abgecheckt). Nein danke, mir reicht es für heute in Sachen Abenteuer und auch Dominic hat für heute genug. Also bleiben wir einfach an Ort und Stelle stehen und beschliessen uns morgen in alter Frische einen Überblick zu verschaffen. Wir wollen endlich etwas zwischen die Zähne kriegen und ab ins Bett. Wir sind erledigt. Die Nacht ist unfassbar ruhig. Keine Autos, keine bellenden Hunde, kein Meeresrauschen, einfach nichts. Herrlich! Trotzdem fühle ich mich am nächsten Morgen gerädert. Die Aufregung der letzten Tage hängt mir wohl noch in den Knochen (ja, ich bin ein kleines Sensibelchen). Ferris sieht von innen als auch von aussen aus, als hätte er gestern eine Wellnessschlammpackung erhalten und mir stinkt’s jetzt schon gehörig ihn mit den uns zur Verfügung stehenden einfachen Mittel wieder auf Vordermann zu bringen. Naja, wenigstens haben wir dank des Flusses unbegrenzt Wasser vor der Haustüre. Dominic ist hoch motiviert und bestens gelaunt!

Nach unserem ersten Kaffee beschliessen wir, vor dem Geputzte erstmals in die Wanderschuhe zu steigen und runter zum «Osum» zu laufen. Wir gehen auf der Schotterpiste, welche wir gestern Nacht nicht mehr gewagt haben zu befahren und sind nun auch bei Tageslicht überzeugt: Das war eine weise Entscheidung! Gleich unterhalb des Parkplatzes kommen wir direkt an den Fluss. Das Schattenspiel der Steilwände entlang des Flusslaufes beeindrucken uns. Wir folgen einem schmalen Pfad und überqueren auf einer Holzbrücke die Schlucht. Dort kraxeln wir weiter den Berg hinauf. Doch lange sind wir nicht unterwegs, denn es scheint, als gäbe es hier kein Weiterkommen. Also suchen wir uns einen Weg zurück zum Osum und überqueren, mit den Wanderschuhen um den Hals, den knietiefen (arschkalten) Fluss.


Zurück bei Ferris passiert es dann: Wir streiten uns das erste Mal seit wir auf Reisen sind. Sehr wahrscheinlich bin ich der Auslöser für das Gewitter. Irgendwie kann man es mir heute einfach nicht recht machen. Schöne Aussicht hin oder her, ich bin müde und erschöpft. Vielleicht waren es doch ein paar Abenteuer zu viel die letzten Tage und ich bin noch nicht ganz auf der Höhe. Oder die weiblichen Hormone gehen gerade mit mir durch. Oder… Ich habe Hunger. 😉 (Irgendwo dazwischen putzen wir noch unser Büsli. So gut es eben geht. Bin ich vielleicht deshalb so sauer? Man weiss es nicht...)

Doch das lautstarke Unwetter zieht zum Glück schnell an uns vorbei und wir vertragen uns wieder. Kein Grund sich den Tag verderben zu lassen. Also fahren wir nochmals zu der Stelle zurück, wo wir gestern steckengeblieben. Das wollen wir bei Tag nochmals sehen und ein paar Fotos machen.

Wir fahren ein Stück weiter und parken auf einem geteerten Parkplatz um die Gegen auszukuntschaften. Für eine längere Wanderung ist es bereits etwas zu spät. Doch wir laufen mithilfe von Dominics Navigationsgerät ein paar Wege ab und bekommen so eine Idee, wohin wir morgen wandern könnten. Zurück bei Ferris geniessen wir einen Kaffee und eine trockene Schokoladenroulade, dafür aber mit atemberaubendem Ausblick auf den Canyon. Nach der süssen Verpflegung beschliessen wir zu unserem Schlafplatz von gestern zurückzukehren. Morgen gehen wir wandern!



Um die Geschichte etwas abzukürzen, der Wandertag tat uns beiden einfach nur gut und war wunderschön. Das Wetter hat mitgespielt und nebst der Aussicht, die wir sehr genossen haben, durften wir auch einige spannende Dinge entdecken. Aber seht selbst:

Nach einer weiteren Nacht im Osum Canyon, zieht es uns nun zurück ans Meer. Wir fahren in Richtung Vlora, wo es einen wunderschönen Strand und oft auch andere Camper geben soll. Und wir werden nicht enttäuscht. Das Fleckchen Erde lässt Camperherzen höher schlagen!

Wir lernen eine bunte Palette Menschen kennen. Alleinreisende, Paare, Familien mit Kindern, Schweizer, Deutsche, Niederländer – von allem etwas dabei. Die Einheimischen Hirten und Fischer wirken hier eher zurückhaltend. Also haben wir mehr Kontakt zu unsersgleichen. Unsere Nachbarschaft verändert sich teils täglich, teils erst nach ein paar Nächten. Und manchmal wird es um uns wunderbar ruhig und wir stehen fast allein.

Unsere Tage verbringen wir mit Fotografieren, Fischen, Lesen, Feuerbohren, Kochen, Schreiben, im Meer baden und am Strand spazieren. Was wollen wir mehr. Wir sind glücklich! Die Sonne scheint uns auf den Pelz und von Regenwolken keine Spur.


Ausserdem haben wir einen neuen Freund gefunden. Einen Hirtenhund, der uns mit seinem durchdringenden Blick und seiner stattlichen Grösse am ersten Tag einen ganz schönen Schrecken eingejagt, sich nach kurzer Zeit aber ganz handzahm zeigt. Morgens und abends beobachten wir die vorbeiziehenden Kuh- und Ziegenherden und schmunzeln über dieses skurrile Bild. Kühe am Strand – die gehören doch in die Alpen! Zwischendurch machen wir einen kleinen Abstecher in die Stadt Vlora, um einzukaufen, Wasser zu tanken und Wäsche zu waschen. Doch auch hier bleiben wir nicht länger als nötig. Zu viele Menschen und teils tatsächlich das erste Mal auch eher grimmige Gesichter. Also flüchten wir nach getaner Arbeit wieder zurück in unser kleines Paradies am Strand.


Wir wollen eigentlich noch länger bleiben, aber nach acht Tagen zieht es uns dann doch weiter. Das Wetter schlägt langsam um und wir überlegen, ob wir noch weiter der albanischen Küste entlang fahren oder direkt durchs Inland nach Griechenland fahren sollen. Wir entscheiden uns für das Zweite. So beginnt die nächste Geschichte mal wieder mit einem Zollübertritt, der nicht ganz so verläuft, wie wir uns das vorgestellt haben und schon bald heisst es «Jassas» aus Griechenland!

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